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Outing Brief eines Transgendermädchens

Meine Lieben, der Sommer 2018 ist vorbei und ich möchte nicht noch einen Sommer oder noch ein Jahr verstreichen lassen…. Um die besondere Situation Euch nahe zu bringen, habe ich mich mit einem Psychologen beraten, Gespräche in einer Selbsthilfegruppe geführt und in Büchern und im Internet herausgelesen, dass ein klassischer Brief für beide Seiten die beste Möglichkeit und Form ist: Ihr seid die wenigen Menschen, die nun HEUTE erfahren sollen, was ich seit langem verborgen halte und sicher weiß. Ich will Euch mit diesem ganz persönlichen Brief erklären, dass ich kein Junge bin, so wie es in meiner Geburtsurkunde festgeschrieben steht und mein biologischer Körper es mir zeigt. Ich bin ein Mädchen. Der Fachbegriff dafür ist, ich bin ein Transgendermädchen/Transgenderfrau.

Seit Jahren trage ich das Geheimnis in mir und verstehe die Welt nicht. Was ist los mit mir, was für merkwürdige Wege werden mir im Leben vorgegeben: Der schwierige Start in mein Leben, mein Handicap und jetzt auch noch DAS: Zu wissen, ich wurde im falschen Körper geboren! Ich konnte mich nur verstecken und wollte meine kleine liebe Familie und meine kleine heile Welt nicht verletzen und in Angst und Schrecken versetzen. Vor geraumer Zeit habe ich mich dann doch meiner Schwester anvertraut und Anfang 2018 habe ich mich bei meinen Eltern geoutet. Es ist sicher für Euch ALLE ein Schock, den man so leicht nicht verarbeiten kann. Doch mein ganzes Leben liegt noch vor mir und eigentlich hätte ich mich viel früher outen sollen, damit hätte ich den Beginn meiner Pubertät hinausgezögert bzw. verhindern können. Das soll jetzt beginnen. An der Seite mit meiner Schwester und nun auch mit meinen Eltern, mit einem Psychologen und durch die Gabe von Hormonen (vorerst Hormonblocker) sollen die Veränderungen meines Körpers zu einem noch männlicheren Körper vorerst aufgehalten werden.

Ich bin froh, dass ich mich nun Euch öffnen kann, in der Hoffnung, dass ihr den Weg mit mir gehen werdet. Denn es wird kein leichter Weg werden. Deshalb bitte ich Euch, diesen ganz privaten Brief vorerst sehr vertraulich zu behandeln, da viele Menschen, denen so etwas wie mir passiert, täglich Repressalien und Verspottungen ausgesetzt sind. Viele Menschen sind mit dem Thema nicht vertraut, sind unwissend und gehen daher abwertend mit Transgendermenschen um und werden mich als „Transe“ beschimpfen, oder hier kommt ein Transsexueller, ein Schwuler! Ich werde sicher gemobbt werden und mit alltäglichen „Kleinigkeiten“ wie z.B. der Toilettengang in öffentlichen Gebäuden konfrontiert sein. Deshalb bitte ich Euch von ganzem Herzen, Euch mit diesem Thema zu beschäftigen, zu belesen und Informationen im Internet zu googlen und gern mit mir ins Gespräch zu kommen. Ich bin kein transsexueller Mensch. Ich bin ein transidenter Mensch. Hier geht es nicht um Sex. Hier geht es um viel mehr, um etwas sehr bedeutendes: Hier geht es um meine Identität. Hier geht es um Transgender, um ein Leben im falschen biologischen Körper. Hier geht es um mein Leben!! Ich möchte gern den Weg mit Euch gemeinsam gehen und hoffe sehr, dass es Euch gelingen wird, diesem Thema ernsthaft und menschlich fair gegenüber zu treten.

Wie sich ein Leben gestalten wird, weiß kein Mensch im Voraus. Zum Glück! Doch eines bin ich mir seit langem sicher. Es ist der einzig richtige und wahre Weg für mich, den ich nun gehen werde. Ich will kein unglückliches, nur wegen der Gesellschaft und Normen entsprechend angepasstes Leben leben. Ich will meine Lieben und meine Familie und Freunde auch die Mitmenschen nicht ein Leben lang belügen müssen! Ich will mich selber nicht ein Leben lang belügen müssen. Ich will kein Doppelleben mit Verstecken und mit Depressionen und mit Lügen führen. Meinen zeitlichen Plan muss ich noch finden, es gibt keinen Fahrplan für so einen Weg. Ab wann ich ein Mädchen oder Frau sein werde, bestimmen die vielen großen und kleinen und detaillierten Äußerlichkeiten, innerlich bin ich bereits schon ein Mädchen. Im Herbst 2018 beginnen die ersten Gespräche mit Fachärzten und ein langer Weg mit Krankenkassen und Hormonen. Die Namens- und Personenstandsänderung wird unmittelbar folgen, sobald auch meine äußerlichen Merkmale DAS zulassen. Wann ich mich in der Schule und beim Pfarrer outen werde, wird sich die nächsten Monate zeigen. Zum Glück gibt es inzwischen auch in Deutschland bereits diverse Gesetze, die eine Identitätsänderung ermöglichen, ohne vorher eine Geschlechtsangleichung zu erzwingen. Diese Gedanken sind noch weg.

Ich wäre sehr froh, wenn wir diesen Weg ohne Vorbehalte und Bewertungen und Verurteilungen und Verletzungen gemeinsam gehen könnten, Euch als wichtige Stütze an meiner Seite Wüsste. Ich weiß auch, dass ich da sehr viel von Euch verlange…, aber ich bin deshalb kein anderer Mensch.

August 2018,
Diesen Brief schicke ich an meine Schwestern und ihre Freunde und an meine Tanten und Onkels an beide Oma und Opas, und an 6 weitere enge Freunde und deren Familienmitglieder.